Scientific Article

Verwendung von Schnullern und plötzlicher Kindstod (SIDS)

Interview mit Dr. Alejandro Jenik, MD


Interview mit Dr. Alejandro Jenik über seinen vor kurzem veröffentlichten Artikel „Pacifier Use and SIDS” im Buch „Investigation of Sudden Infant Death Syndrome”, herausgegeben von Marta C. Cohen, Irene B. Scheimberg, J. Bruce Beckwith und Fern R. Hauck. 

Können Sie den plötzlichen Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, kurz SIDS) kurz erklären?

Jenik: Plötzlicher Kindstod (SIDS) ist ein Begriff, mit dem der plötzliche, unerwartete Tod von Säuglingen (sudden, unexpected death of infants, SUDI) beschrieben wird, wenn nachfolgende Untersuchungen (Autopsie, Überprüfung der Todesumstände, klinische Anamnese) keine eindeutige Todesursache aufzeigen. Plötzlicher Kindstod ist eine Ausschlussdiagnose. Andere Ursachen des unerwarteten Todes (SUDI) müssen in Erwägung gezogen und ausgeschlossen werden, bevor die Diagnose des plötzlichen Kindstods gestellt werden kann. Darunter sind tödliche Kindesmisshandlung und metabolische und genetische Erkrankungen von besonderer Bedeutung, weil sie Auswirkungen auf andere Kinder in der Familie haben. 

Welche Faktoren erhöhen das Risiko für plötzlichen Kindstod?

Jenik: Es gibt zahlreiche Risiken, die übereinstimmend als unabhängige Faktoren identifiziert worden sind. Zu diesen gehören späte oder keine pränatale Versorgung, Frühgeburt und/oder geringes Geburtsgewicht, Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft, Schlafposition in Bauchlage, Schlafen im Bett der Eltern und, unter bestimmten Umständen, Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum der Eltern oder Schlafen neben einem Erwachsenen auf einem Sofa. Säuglinge, die normalerweise auf ihrem Rücken schlafen, danach aber zum Beispiel für den Mittagsschlaf auf den Bauch gelegt werden, haben ein sehr hohes Risiko für einen plötzlichen, unerwarteten Tod. Hierfür besteht auch ein erhöhtes Risiko in Verbindung mit ungünstigen sozialen Umständen, die unabhängig vom Rauchen der Mutter, der Bauchlage und dem Geburtsgewicht sind.

Müssen sich Mütter Sorgen machen, dass die Verwendung von Schnullern die Dauer des Stillens beeinträchtigt? Gibt es dafür eine wissenschaftliche Evidenz?

Jenik: Wissenschaftliche Evidenz bestätigt, dass sich Mütter keine Sorgen über die Verwendung von Schnullern im Hinblick auf die Dauer des Stillens machen müssen. Sorgfältig ausgelegte Studien haben gezeigt, dass es keinen Unterschied bei den Stillergebnissen und unterschiedlichen Mustern der Schnulleranwendung zwischen frühgeborenen Säuglingen und gesunden Neugeborenen nach 15 Lebenstagen gibt (BFHI-Mitgliedskrankenhäusern). 

Wie viele Säuglinge sind weltweit jedes Jahr vom plötzlichen Kindstod betroffen? Gibt es einen Unterschied zwischen Entwicklungs- und Industrieländern?

Jenik: Die neuesten SIDS-Raten sind zwischen Ländern mit hohem Einkommen (2012-2014) unterschiedlich und reichen von 0,05 Todesfällen pro 1.000 Lebendgeburten in Schweden bis zu 0,39 Todesfällen pro 1.000 Lebendgeburten in den USA. Letztere Zahl ist auf die hohen Raten der Vulnerabilität in der Kindheit zurückzuführen.
Hohe SIDS- und SUDI-Raten überwiegen noch immer in bestimmten rassischen und ethnischen Gruppen und sind mit Armut und Diskriminierung verbunden (Afroamerikaner, amerikanische Ureinwohner, Ureinwohner Alaskas und Kanadas, Māori in Neuseeland, australische Aborigines und einkommensschwache Briten). Es besteht eine Untererfassung und ein Mangel an Literatur zu plötzlichem Kindstod in Entwicklungsländern, und ich bin sicher, dass Schmerz und Schuld hierfür eine Rolle spielen.

Quelle: Sudden Infant and Early Childhood Death: The Past, the Present and the Future. Duncan JR, Byard RW, editors.Adelaide (AU): University of Adelaide Press

In der Vergangenheit hat die WHO aktiv von der Verwendung von künstlichen Saugern oder Schnullern für gestillte Säuglinge abgeraten. Diese Position wurde im April 2018 revidiert, um „Mütter im Hinblick auf die Verwendung und Risiken von Babyflaschen, Saugern und Schnullern zu beraten“, anstatt von deren Verwendung abzuraten. Glauben Sie, dass dies das medizinische Fachpersonal zugunsten der Verwendung von Schnullern beeinflusst hat?

Jenik: Diese Modifikation stellt einen Paradigmenwechsel dar, der Familien ermöglicht, fundierte Entscheidungen über die Verwendung oder Vermeidung von Schnullern zu treffen. Sie ebnet allgemein den Weg für Ärzte, Pflegekräfte und medizinisches Personal, weiterhin das Stillen zu unterstützen, ohne dabei eine adäquate Empfehlung für die Verwendung eines Schnullers beim Schlafenlegen eines Babys zu vermeiden. Eine Intervention, die klar gezeigt hat, dass sie das Risiko für plötzlichen Kindstod verringert.

Warum hat sich die Cambridge University Press vor Kurzem entschieden, „Investigation of Sudden Infant Death Syndrome” zu veröffentlichen? Was ist die Zielgruppe für dieses wissenschaftliche Buch?

Jenik: Dieses Buch enthält Aspekte im Hinblick auf die Untersuchung des SUDI und SIDS, die von anderen Veröffentlichungen nicht berücksichtigt wurden, einschließlich der aktuellen Standards der polizeilichen Untersuchung, und post-mortem die Einbeziehung aller Aspekte der Untersuchung, des Hausbesuchs, der Krankengeschichte und der Autopsiebefunde. Dieser von multidisziplinären Fachleuten geschriebene Leitfaden verwendet klare Referenztabellen und -diagramme, um neueste Erkenntnisse zu liefern, die von Kinder- und Allgemeinpathologen, Kinderärzten, medizinisch-rechtlichen Sachverständigen und allen anderen genutzt werden können, die an der Untersuchung von plötzlichen Kindstodsfällen beteiligt sind.

Bitte erklären Sie kurz, wie ein Schnuller helfen kann, das Risiko des plötzlichen Kindstods zu verringern.

Jenik: Es gibt zahlreiche Mechanismen, die dazu beitragen können, dass Schnuller das Risiko des plötzlichen Kindstods verringern. Sie verbessern die autonome Kontrolle und verhindern, dass der Säugling sich umdreht und in die Bauchlage rollt, wobei der äußere Griff des Schnullers einen günstigen Einfluss auf das Schlafumfeld des Säuglings hat. Schnuller helfen auch, die Durchlässigkeit der oberen Atemwege aufrechtzuerhalten, erhöhen den Blutdruck während des Schlafs, erhöhen die „Arousal-Schwelle“ (umstritten) und bewirken eine Vorwärtsbewegung des Unterkiefers.

Dr. Alejandro Jenik, MD

Pädiater

Dr. Alejandro Jenik MD ist Leiter der Neonatologie des Hospital Italiano in Buenos Aires (Argentinien).

Jenik A.G., Vain N.E., Gorestein A.N., Jacobi, N.E.: Does the Recommendation to Use a Pacifier Influcnece the Prevalence of Breastfeeding? The Journal of Pediatrics 2009